Wachsende sektiererische Spannungen in der syrischen Diaspora in Deutschland

Syrische Gemeinschaft in Deutschland

Die syrische Diaspora in Deutschland – einst ein Symbol der Einheit und Widerstandskraft – sieht sich nun mit zunehmenden inneren Spaltungen konfrontiert. Was die Syrer im Exil früher unter dem Banner von Freiheit und Frieden vereinte, wird heute durch sektiererische Konflikte zerrüttet. Diese aufkommenden Risse, genährt vom syrischen Bürgerkrieg und verstärkt durch digitale Desinformation, verändern das Zusammenleben der Gemeinschaften im Exil.

Hassan, ein 32-jähriger Syrer, der 2015 aus dem Bürgerkrieg floh und sich in Berlin niederließ, erinnert sich daran, dass es früher wichtiger war, das Leben neu aufzubauen, als zu fragen, welcher Konfession jemand angehörte. Heute hingegen sind sektiererische Fragen und Misstrauen an der Tagesordnung. „Wir verlieren uns gegenseitig“, sagt er.

Was hat die erneuten Spannungen ausgelöst?

Ein Wendepunkt ereignete sich Mitte Juli in Sweida im Süden Syriens. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den drusischen und beduinisch-sunnitischen Gemeinschaften begannen nach gegenseitigen Entführungen. Die Lage eskalierte schnell zu bewaffneten Kämpfen, Plünderungen und Gesetzlosigkeit. Bereits Anfang des Jahres kam es zu ähnlicher Gewalt, bei der Mitglieder der alawitischen Bevölkerung in Syrien beteiligt waren – auch hier ausgelöst durch Gerüchte und Angst.

In beiden Fällen konnte die syrische Übergangsregierung die Sicherheit nicht aufrechterhalten. Diese ungelösten Spannungen wirken sich nun auf die Exilgemeinschaften aus – insbesondere in Deutschland, das die größte syrische Diaspora Europas beherbergt.

Welche Rolle spielen soziale Medien?

Die digitale Welt ist zu einem Schlachtfeld für sektiererische Narrative geworden. Soziale Medien, einst ein Werkzeug für Hoffnung und Protestorganisation, verbreiten heute Hassreden und Desinformationen. Viele Syrer in Deutschland berichten von emotional aufgeladenen Inhalten, die Misstrauen und Spaltung schüren.

Online-Hass wird oft von anonymen Konten oder politisch motivierten Akteuren verbreitet. Diese Beiträge verzerren Ereignisse, erzeugen Angst und verstärken das Misstrauen. Hassan, der früher offen seine Meinung äußerte, sagt heute, dass das Maß an sektiererischem Missbrauch auf Plattformen wie Facebook und WhatsApp „so hoch ist wie nie zuvor“.

Was geschieht bei syrischen Demonstrationen in Deutschland?

Die Spannungen sind inzwischen auf die Straßen deutscher Städte übergeschwappt. In Düsseldorf gerieten rivalisierende syrische Gruppen – eine pro-kurdisch, die andere pro-Übergangsregierung – in der Nähe des Hauptbahnhofs aneinander. Aus verbalen Auseinandersetzungen wurde Gewalt, es gab Festnahmen und Verletzte.

In Berlin geriet eine weitere Demonstration in die Kritik, als eine kleine Gruppe Slogans gegen die Drusen und Israel rief. Obwohl sie nicht die Mehrheit repräsentierten, sorgte ihr Auftreten für Empörung bei Politikern und Forderungen nach Ermittlungen.

Diese Vorfälle, so isoliert sie auch sein mögen, haben das wachsende Misstrauen innerhalb der syrischen Diaspora in Deutschland weiter verschärft und das Zusammenleben erschwert.

Verschärft der Konflikt mit Israel die Spaltung?

Der andauernde Konflikt Syriens mit Israel erschwert die Lage zusätzlich. Jüngste israelische Luftangriffe, die angeblich dem Schutz der Drusen dienten, haben unter sunnitischen Syrern Verdacht und Misstrauen geschürt. Viele sehen in jeder Verbindung zu Israel einen Verrat – unabhängig vom Kontext.

Ahmad, ein 30-jähriger Syrer in Berlin, berichtet, dass er den Kontakt zu einem drusischen Freund abbrach, nachdem er erfahren hatte, dass dieser Land in der Nähe der israelischen Grenze kaufen wollte. Auch wenn Ahmad später einräumte: „Ich meine nicht alle Drusen, nur einige“, zeigt der Vorfall, wie schnell sich Misstrauen verbreitet.

Sind alle Syrer in Deutschland gespalten?

Keineswegs. Viele Mitglieder der syrischen Diaspora in Deutschland setzen sich weiterhin für Frieden und Einigkeit ein. Bei derselben Demonstration in Berlin sangen hunderte Teilnehmer revolutionäre Lieder und sprachen sich gegen Sektierertum aus.

Mehrere Demonstranten betonten den Wunsch nach Koexistenz – unabhängig von Religion oder ethnischer Zugehörigkeit. „Dieses Land gehört uns allen“, sagte einer. Ein anderer fügte hinzu: „Wir müssen zusammenhalten und uns nicht spalten lassen.“

Trotz wachsender Herausforderungen bleibt der Wille vieler Syrer ungebrochen, die einstige Einheit ihrer Bewegung zu bewahren.

Was unternehmen zivilgesellschaftliche Gruppen?

Zivilgesellschaftliche Organisationen leisten wichtige Arbeit im Kampf gegen Desinformation und für Versöhnung. Ein Beispiel ist die Bewegung „9. des Monats“, benannt nach der Freilassung politischer Gefangener am 9. Dezember 2024. Sie veranstalten monatliche stille Mahnwachen in Berlin gegen Massaker, Belagerungen und sektiererische Hetze.

Auch Organisationen wie The Syria Campaign dokumentieren Menschenrechtsverletzungen, setzen sich für Gerechtigkeit ein und ermutigen Syrer zur Rückbesinnung auf gemeinsame Werte. Ihr Ziel: die Erinnerung an den ursprünglichen Kampf für Freiheit und Menschenwürde wachzuhalten.

Was können Regierung und Medien in Deutschland tun?

Deutschland hat eine wichtige Rolle bei der Integration und Prävention von Konflikten in Einwanderergemeinschaften. Behörden sollten Online-Hass beobachten, zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützen und Syrern Sicherheit beim Melden von Bedrohungen bieten.

Auch deutsche Medien tragen Verantwortung. Alarmistische Schlagzeilen, die Syrer pauschal als gewalttätig darstellen, verschärfen Vorurteile. Stattdessen sollten Fakten betont und positive Beiträge aus der Gemeinschaft sichtbar gemacht werden.

Psychosoziale Unterstützung, Dialogprogramme und digitale Aufklärung sind ebenso entscheidend. Viele in der syrischen Diaspora in Deutschland leiden noch immer unter Traumata und sind dadurch empfänglicher für emotionale Manipulation.

Was können Syrer selbst tun?

Die Wiederherstellung der Einheit erfordert persönliches und kollektives Engagement. Syrer müssen Hass ablehnen, Verallgemeinerungen vermeiden und den offenen Dialog suchen. Sektiererische Spaltungen nützen nur jenen, die vom Chaos profitieren.

Aktivisten betonen, dass es nie um Religion ging: „Dieser Kampf war nie religiös. Es ging um Freiheit für alle Syrer.“

Versöhnung beginnt mit dem Zuhören – dem Verstehen von Ängsten und Erfahrungen anderer ohne Vorurteile. Heilung braucht Zeit, aber sie beginnt mit Gesprächen, die Empathie statt Schuld fördern.

Wie sieht die Zukunft der syrischen Diaspora aus?

Die syrische Diaspora in Deutschland steht an einem Scheideweg. Sektierertum, digitaler Hass und die Nachwirkungen des Krieges bedrohen die mühsam aufgebaute Solidarität. Doch zwischen Angst und Spaltung gibt es Hoffnung.

Graswurzelinitiativen, verantwortungsvolle Führung und bürgerschaftliches Engagement können die Entwicklung umkehren. Ziel muss es sein, eine widerstandsfähige, inklusive Gemeinschaft zu schaffen, die für Gerechtigkeit und Einigkeit steht.

Der Weg ist nicht einfach, aber klar: Syrer im Exil dürfen nicht die gleichen Spaltungen wiederholen, vor denen sie einst flohen. Mit gegenseitigem Respekt, ehrlichem Dialog und einem gemeinsamen Ziel kann die syrische Diaspora der Welt zeigen, was echter Frieden und Koexistenz bedeuten.