Deutschlands grüne Stahlwende gerät ins Wanken

Grüner Stahl unter Druck

Die grüne Stahlwende in Deutschland befindet sich an einem entscheidenden Punkt. Während das Land seinem Ziel der Klimaneutralität bis 2045 näherkommen will, spielt die Stahlindustrie eine zentrale Rolle bei der Reduzierung von Emissionen. Doch ein aktueller Rückzug des Stahlriesen ArcelorMittal stellt den bisherigen Kurs infrage. Obwohl das Unternehmen staatliche Subventionen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro angeboten bekam, gab es diese zurück und stoppte seine Pläne zur Dekarbonisierung seiner deutschen Standorte. Als Gründe nannte der Konzern steigende Kosten, eine unzureichende Wasserstoff-Infrastruktur und schwache Marktbedingungen. Diese Entscheidung sorgt für große Unsicherheit – nicht nur bei Investoren, sondern auch für die Zukunft des grünen Stahls in Europas größter Volkswirtschaft.

Warum Stahl für Deutschlands Klimaziele entscheidend ist

Die Stahlproduktion ist tief in der deutschen Industrie verankert. Gleichzeitig ist sie für rund sieben Prozent der nationalen CO₂-Emissionen verantwortlich. Um die gesetzten Klimaziele zu erreichen, muss Deutschland jährlich bis zu 55 Millionen Tonnen CO₂ allein im Stahlsektor einsparen. Das entspricht fast einem Drittel aller industriellen Emissionen im Land. Die grüne Stahlwende in Deutschland ist somit nicht nur ein Umweltprojekt, sondern auch ein wirtschaftlich und politisch relevantes Unterfangen.

Die Vision dahinter ist klar: Statt auf kohlebasierten Hochöfen soll künftig auf wasserstoffbasierte Verfahren umgestellt werden. Grüner Wasserstoff, erzeugt durch erneuerbare Energien, soll dabei Kohle vollständig ersetzen. Das würde nicht nur die Emissionen massiv senken, sondern Deutschland auch als Technologieführer im globalen Klimaschutz positionieren. Die Umsetzung dieser Vision verlangt jedoch enorme Investitionen, klare politische Rahmenbedingungen und eine enge Zusammenarbeit von Staat und Industrie.

Wie Wasserstoff die Stahlindustrie revolutionieren sollte

Grüner Wasserstoff entsteht durch die Elektrolyse von Wasser mit Strom aus Wind- oder Solarenergie. In der Stahlproduktion kann er Koks als Reduktionsmittel ersetzen – ein Prozess, bei dem üblicherweise große Mengen CO₂ freigesetzt werden. Deshalb steht Wasserstoff im Zentrum der grünen Stahlwende in Deutschland.

Die frühere Bundesregierung hatte sich ambitionierte Ziele gesetzt: Bis 2030 sollen zehn Gigawatt Elektrolyse-Kapazität aufgebaut werden. Unternehmen wie ArcelorMittal hatten daraufhin Pläne entwickelt, ihre Standorte in Bremen und Eisenhüttenstadt bis 2050 klimaneutral zu machen. Der Staat sagte über eine Milliarde Euro an Fördermitteln für den Umbau der Produktionsstätten zu.

Trotz dieser Förderzusagen gab ArcelorMittal seine Pläne nun auf. Das Unternehmen begründet den Rückzug mit Verzögerungen beim Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur, der Unwirtschaftlichkeit von gasbasierten Übergangstechnologien und hohen Energiepreisen.

Wo liegen die größten Herausforderungen?

Eine der größten Hürden der grünen Stahlwende in Deutschland ist der schleppende Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur. Anfang 2024 waren lediglich 0,066 Gigawatt an Elektrolyse-Kapazität installiert – weit entfernt vom Ziel von 10 GW bis 2030. Der Transport von Wasserstoff ist technisch anspruchsvoll und teuer. Ob verflüssigt oder in Ammoniak umgewandelt, es gehen dabei bis zu 50 Prozent der Energie verloren, was den Transport ineffizient macht.

Inzwischen geht die Regierung davon aus, dass bis zu 70 Prozent des Wasserstoffbedarfs importiert werden müssen. Doch auch hier gibt es Rückschläge: Zahlreiche internationale Pipeline-Projekte – etwa mit Norwegen oder Dänemark – wurden verschoben oder ganz gestrichen. Ohne verlässliche Infrastruktur können Unternehmen kaum langfristige Investitionsentscheidungen treffen.

Hinzu kommen hohe Strompreise. Deutschland hat im Vergleich zu anderen europäischen Ländern besonders teure Elektrizität. Da die Herstellung von grünem Wasserstoff stromintensiv ist, steigen damit auch die Produktionskosten. ArcelorMittal investiert deshalb lieber in Frankreich, wo die Energiepreise stabiler und planbarer sind. Dort entstehen nun neue Elektroofen-Anlagen im nordfranzösischen Dunkerque.

Bleiben deutsche Stahlunternehmen dem Wandel treu?

Anders als ArcelorMittal setzen die deutschen Konzerne Thyssenkrupp und Salzgitter AG weiterhin auf die grüne Stahlwende in Deutschland. Beide Firmen bleiben dem Standort verpflichtet, fordern jedoch rasche Fortschritte beim Ausbau der Infrastruktur und mehr politische Unterstützung.

Da sie ausschließlich in Deutschland produzieren, fehlt ihnen die Option, Investitionen ins Ausland zu verlagern. Sie drängen die Bundesregierung, die Rahmenbedingungen zu verbessern – etwa durch wettbewerbsfähige Strompreise, verlässliche Wasserstoffversorgung und gezielte Beschaffungsstrategien. So könnten öffentliche Bauprojekte gezielt grünen Stahl nachfragen und dadurch die Nachfrage absichern.

Können neue EU-Regeln die Wende bringen?

Es gibt berechtigte Hoffnung. Ab 2027 wird die EU ihr Emissionshandelssystem reformieren und die kostenlosen CO₂-Zertifikate für Industrieunternehmen schrittweise abschaffen. Dadurch steigen die Kosten für kohlebasierte Stahlproduktion deutlich.

Studien zufolge könnte konventioneller Stahl in Europa bereits ab 2030 wirtschaftlich nicht mehr rentabel sein. Das verschafft grünem Stahl einen klaren Vorteil – vorausgesetzt, die Produktionsbedingungen stimmen. Die grüne Stahlwende in Deutschland könnte dadurch wieder an Fahrt gewinnen, wenn Unternehmen und Politik jetzt die richtigen Weichen stellen.

Was muss jetzt passieren?

Für eine erfolgreiche grüne Stahlwende in Deutschland sind schnelle und entschlossene Maßnahmen notwendig. Die Regierung muss den Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur beschleunigen, den Strommarkt stabilisieren und Stahlunternehmen mit langfristigen Förderverträgen absichern. Wird nicht gehandelt, drohen Investitionsstopp, Standortverlagerung und ein Rückfall im internationalen Wettbewerb.

Gleichzeitig ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft entscheidend. Nur wenn politische, wirtschaftliche und technologische Interessen aufeinander abgestimmt werden, kann die grüne Transformation auch wirtschaftlich tragfähig sein.

Fazit: Eine Bewährungsprobe für Industrie und Politik

Der Weg zur klimaneutralen Stahlproduktion in Deutschland ist anspruchsvoll, aber machbar. Der Rückzug von ArcelorMittal ist ein Warnsignal – kein Ende. Es zeigt jedoch klar auf, dass politische Versprechen allein nicht ausreichen. Infrastruktur, Energiepreise und Marktmechanismen müssen zusammenwirken, um Investitionen in eine nachhaltige Industrie attraktiv zu machen.

Wenn Deutschland entschlossen handelt, kann die grüne Stahlwende in Deutschland zum Vorbild für andere Industrienationen werden. Noch ist Zeit – doch das Fenster schließt sich schnell. Ob das Land den Wandel schafft, entscheidet sich in den nächsten Jahren.